Verlagslaunch edition das ausland: zu Gast im ausland am 23.2.2024

Am Freitag wird die unabhängige Berliner Verlagsszene um eine Umdrehung reicher. Susa AbdulMajid und Johann Wiede stellen im befreundeten Prenzlberger off-space ausland ihren Verlag edition das ausland und die drei bisherigen Veröffentlichungen vor. edition das ausland vereint junge internationale und deutschsprachige Positionen aus Lyrik, Prosa, Essayistik und Dramatik und versteht sich als Veröffentlichungsplattform für Autor*innen und Leser*innen, die schreibend mitdenken und dabei gegenseitiges Diskutieren, Lernen und Antrieb suchen und ermöglichen wollen. Literatur als eine Gegenrede zur Realität.

Zugleich feiert der Abend den Release des gerade erschienenen Lyrikbands der Verlagsleiterin Susa AbdulMajid, Yohan lag bequem in wasserfesten Abgründen. Der Band mit 16 Gedichten ist eine lyrische Auseinandersetzung mit ihrem Erwachsenwerden, ein Zyklus der letzten 10 Jahre. „Diese Texte sind Ausreden, ein Telefonat nicht zu führen, wenn es heißt: ‚Susa, dein Cousin XY aus Mossul ist tot, sprich mit deiner Tante.‘ Texte, entstanden in komfortablen engen Zimmern, als Tochter einer Tochter, die dann Braut wurde und sich dann verschluckte, Perlen ausspuckte und eine neue Tochter dazu. MTV leuchtet und Al Jazeera schaltet live: Die Rede Pearls, straight outta DC und direkt in mein Ohr.“

Es lesen und performen Thaer Ayoub, Susa AbdulMajid und Johann Wiede.

Doors: 20:00, Beginn: 20:30 Uhr, Eintritt frei
ausland, Lychener Straße 60, 10437 Berlin  

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untitled (januar)

rechen das laub
nass stockig auf dem
hosenbund gezählte
kreatürliche leistung
ein teil ist mit kränenhänden
abgetrennt ins maul
gestopft der sack weggetragen
öl raffiniert das holz
gespalten der fisch geschichtet
zerlegt der haufen drin
gekippt unken die gewässer
schreien forste der
amazonas hat sich mit allem
gewehrt schreit nach kräfte
verteilen sich an
stellen die ruhig waren
erholt zu spät die flur
lang aus dem staub auf
die rillen der gemäuer
wo schonungen der zähne
knickende blitze hegen

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Susa AbdulMajid – Yohan lag bequem in wasserfesten Abgründen

Ein neuer Band der „edition das ausland“ ist erschienen!

Veröffentlichungsdatum: 31.1.2024
28 Seiten, mit bedrucktem Schutzumschlag aus Packpapier und herausnehmbarem Einleger
Auflage: 150 Exemplare
Preis pro Exemplar: 12,00 €

Vorbestellungen: info(at)editiondasausland.com


Die Autorin über das Buch:

Ahnen verfolgen mich, meine irakischen Tanten stalken mich, mein Bruder weiß nicht, wohin mit sich. „Schwester, was machst du?“ „Ich flüchte vor Speicherplatz, ich will nicht gespeichert werden, nur erinnert muss ich werden, nicht geehrt, aber gerahmt“: ein Farbholzschnitt aus 1990.

Yohan lag bequem beginnt mit einem Tornado, der zum Mythos wird und für jede Irrfahrt Odysseus verantwortlich.  Der Textband beschreibt die Weiterreise von Ogygia nach Babylon, hin zur Heimat von Hassan und Hedda, die in Heidelberg, pünktlich zum Opferfest, Helios Rinder schlachteten. Eine deutsche Jugend post 9/11, die 24/7 in Popkultur Heimat sucht und Britney statt Madonna küsst. (Ich spreche von mir). Diese Texte sind Ausreden, ein Telefonat nicht zu führen, wenn es heißt: „Susa, dein Cousin XY aus Mossul ist tot, sprich mit deiner Tante.“ Texte, entstanden in komfortablen engen Zimmern, als Tochter einer Tochter, die dann Braut wurde und sich dann verschluckte, Perlen ausspuckte und eine neue Tochter dazu. MTV leuchtet und Al Jazeera schaltet live: Die Rede Pearls, straight outta DC und direkt in mein Ohr.

Aber der Krieg ist vorbei und ich bin jetzt eine erwachsene Frau – mit schwarzem Haar, das mir letztes Jahr ausgefallen ist – post Pregnancy, post Covid, Post ist exklusiv in diesem Land – die meiner Mutter an mich ist letzte Woche verloren gegangen.

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april im februar

wenn das kollektiv eindringt keine spur
von blumen sprechen
in slogans manifesten in den hauseingängen
sinken vor des helikopters wind vom vieux port gedichte
als waffe datenklau maskerade
incentive in meinen eingeweiden wenn ich
aufarbeite verliere zerstöre (inside bilanz cremig aufs neue
sprache exil verstehen was lässt mich nicht
monogamie sexy schreibweisen gegenwart
asche sagt das eine meint das andere das nichtwahre
c’est un bon moment die haare zu färben
plan sag ich blond du

zittern wir erkennen uns haben sagst du wenig an
kehre zurück mit pflanzen
vorstellung das ausland juste une ville
à se démenager in particulaire

la promenade le boulevard la plaine füllt sich
zirkuliert wie taubenfragen brocken en rétard
zieht sich zusammen à chaque moment
beruhigt sich mit den richtigen artikeln la pronounciation
correcte erkennt auf rädern vorbei die gelben bände
ein kontakt eine aktion nur welches datum
mürbe achsen wassertropfen rinnen über wissenschaftlichen
sozialismus im kalender ist nichts verloren
zärtliche tinte bien passé à d’autre part
auf einer anderen seite

vier personen kommen an den tisch
entschuldigen sich fragen nach münzen für essen die sonne
ist schon auf der anderen seite des platzes
gewandert geschoben von telefongesprächen umstanden
von weiteren treffen der nacht quelque chose à manger
il a recu la lutte pour logement pour la santé pour la retraite
ich habe nachgeschaut nach inneren feinden
an den wänden ein eigenes territorium abgesteckt
an unseren träumen organisiert

kreolische konstellationen eine jazznacht immer auf
dem sprung wie ein reh sagst du der körper hält das aus
hält vieles aus kurze sätze auf einmal ist da was und da
ist nichts was vorher nur gedacht kennst du das
wenn du immer die richtigen wege gehst nicht anders kannst
das unsichtbare netz automatisch im kopf
hast bruder schwester abklopfen umarmen faust an faust
bestellen pastis zur happy hour am plage des catalans
mit felsen mit kreuzfahrten sonne verpisst sich dein blick
hab ich nicht gesucht on se retrouve
dans un fôret dans une manière

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Wojciech Jerzy Has’ poetisches Kino in Sanatorium zur Sanduhr als Antwort auf Bruno Schulz’ mystische Literatur

Für mich ist jeder Film etwas in der Art eines Traums. Ich sehe den Film vor dem Schreiben. (Wojciech, Jerzy Has in „Kino“, 7/1989)

Sanatorium zur Sanduhr (poln. Sanatorium pod klepsydrą) ist der vielleicht bekannteste Film des für seine surrealistischen Filme in Fachkreisen geschätzten Regisseurs Wojciech Jerzy Has (1925–2000). 50 Jahre nach seinem Erscheinen hat das Aleksander-Brückner-Zentrum für Polenstudien in Halle (im Puschkino) und Jena (im Kino am Markt) den Film im Mai 2023 in seiner Filmreihe „Nic dwa razy. Nichts zweimal – Literatur und Film im Dialog“ (https://www.aleksander-brueckner-zentrum.org/veranstaltungen/detail/nic-dwa-razy-nichts-zweimal-literatur-und-film-im-dialog) erneut vorgeführt und mit dem Publikum diskutiert.

In diesem Artikel will ich auf die Poesie der Literatur von Bruno Schulz und des Kinos von Wojciech Jerzy Has eingehen. Beginnen werde ich mit einem biographischen Abriss des Regisseurs Has und dabei besonders auf seinen Zugang zur Literatur von Schulz eingehen, die seine Vision eines poetischen Kinos geprägt hat. Abschließend sei nach dem Gegenwärtigen beider Künstler zu fragen.

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Elisa-Maria Hiemer, Jiří Holý, Agata Firlej, and Hana Nichtburgerová (Eds.): Handbook of Polish, Czech, and Slovak Holocaust Fiction. Works and Contexts.

Diskussionen über die Spannung zwischen Fiktion und Faktischem, Authentizität und Originalität, Anspruch und Funktion von Literatur sind Teil konstitutiver gesellschaftlicher Verständigungsprozesse. Dies gilt gerade für die fiktionale wie dokumentarische Holocaustliteratur (im Englischen mit dem missverständlichen Fiction gegenüber dem dokumentarischen Geschichtswerk umschrieben) die seit den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs besonders, aber nicht nur von überlebenden jüdischen Autor*innen verfasst wurde. Solche Literatur leitete ihren dokumentarischen Anspruch aus der moralischen Verpflichtung, persönliches Zeugnis für die Opfer und zukünftige Generationen abzulegen wie auch als historische Quelle von der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten zu berichten. Meist biographische Zugänge der Überlebenden zielten dabei auf das wahrheits- wie detailgetreue Bezeugen des Erlebten – das, was sich jeder Beschreibung entzog.

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Badlicht, angeleintes, Sirene, erschrockene

Peter wo ist mein Haus auf der Kleidertruhe im Flur von seitlich rechts hinter dem Badlicht, noch so dunkel, dass das Glühen der Herdplatte zu sehen ist, die anderen drei Räume (Wohn- und Schlafzimmer und Küche) zum ersten Mal von dreien besetzt, kämpfen mit der Elektrizität, landstreichen ums Argument. Haben sie Lora Logic in der Band, siehste.

Eine so klare blaue Stunde, da hole ich mir ein Jackett, hier etwas zu essen. Es ist ein verwendeter Traum, der sich zu Stromkabeln entlangzieht wie ein Augenspiel. Halten sich, widersprechen. Endlich wieder kalt. Holzbretter wie kleine Spiegel, der Winter ein abgebrannter Wald, Stümpfe, Risse von mehrköpfigen Gänsen, Nebenmenschen rangeln, küssen und rollen über Artikel; auf einer Glasplatte bittere Satire, die Details, auf die du bis zu den richtigen Fragen nicht mehr achtest.

Wer unterdrückt, der passt ins Schema. Lichtperson, Budget? Verlässt das Dokument, wenn alle „sinnliche Gegenstände bis an die Peripherie“ verteilt sind, als Glaspaläste neben Gestrüpp, die sich wie Flüsterpost bis ins Grün der Südostpassagen von Halb-Paris erstrecken, hinein in die Metropole von BRD, Lediglich-Berge als Aneinanderreihung von Dörfern, als angeleintes Stadtnetz, hinabtragbare Hänge an Form und Halt, geschätzt von Steinen.

Ein Helikopter das realste im Bunker, Bühnen als Barrikaden, retrotupische Sirene übertönt fastende Archetypen, innere Sicherheit entpuppt sich als eine praktisch unveränderte, nur dreimal geöffnete Datei aus den 90ern, das letzte Mal im Raum nach draußen nur erschrockene tote Winkel, wartende Bullaugen-Engel auf Windschutzscheiben, ob wir losgehen, ob die ebene Steppe dir Platz macht, auf dich zukommt, so ein Ereignis eintrifft.

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sag mir drohobycz

sag mir wo liegt drohobycz welche strecke legst du gerade zurück? metaphern ersetzen die musik erwehren sich der beschreibungen gefälschter landkarten überbordender alter grenzen hältst du darum stecknadeln in der hand hast deine letzten punkte markiert wie stockende grüße schaust nicht auf schläft auf den armen ein blätterwald du

mitreisende fluchende trägheit der pappeln rotschopf this place verschleppt rückstände kämmt graue flecken auf der trasse punkt cieni w łące auf dem satellitenschirm tut sichtlich langsamer verschiebt den glitch in die buchstaben koło się domyka(ło) wenn der zugbegleiter hereinrauscht

bis die zeit verwirrt sieht gewinnt die technik über das live-spektakel abstraktion (sorgen) über konkretes (hoffnung) beschwichtigungen über den obraz czekającego pociągu w undergroundzie wo wir mit der elektrizität kämpfen landstrich für landstrich um argumente feilschen sprache um räume ziehen meinen was fehlt

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świat na lubartowskiej

same kryjówki lipowe
zasłaniają podwórka
gołąb się patrzy
pomarańczowymi oczami
na deptaku głodnieje
czekając na zachód słońca
po drugiej stronie
donice wiszą
policja krąży
jak słoneczniki jak
schronący wiatr w
zaułkach przejściach
drogach wewnętrznych
łez
dzielnica czarnego czwartku
kołyszące historie nieme
śruby popędzają
sztrzały instytutu niewolności
mechanika strumienia
po właściwym obudzeniu
kawałek stąd szczątki
które na zawsze
brakują

ul, Lubartowska, Blick auf leere Straße und Zebrastreifen
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90s Blues (Level 1 – 3)

Wie entsteht Ordnung, die Wirklichkeit heißt? Wieso kann nicht alles gleich so eingerichtet sein, dass es sich nicht mehr verändert, habe ich mich immer gefragt? Wohl meinte ich, etwas greifen zu wollen und dann weiterzugehen, ohne mehr daran denken zu müssen, dass sich alles um mich herum bewegt. Alles erstarrt und bleibt an seinem Platz. „Die verdinglichte Subjektivität des Erwachsenseins“ – wie war ich dorthin gekommen? Ein paar Wege, Symbole, bekannte Gesichter, ist daraus schon meine Stadt geboren, die sich keiner zweiten Person darstellt? Wann wollte ich ein anderer Autor sein, in einer anderen Sprache; der anders lernt zu gehen, über sein tägliches Schreiben sich verändert, ohne heranzukommen an das, was dies ausmacht. Vermessen nichtexistenter Dinge. Es ist mir passiert, ein paar anderen, als eine weitere Geschichte.

Level 1 – Fragen der Technik

Alain-Fournier, der im ersten Jahr des Ersten Weltkriegs gefallen ist, taucht auf einer alten Klatschkarte der Fußball-Europameisterschaft 1992 in Schweden wieder auf – einer meiner Lieblingskarten, die mich viele Kindheitsjahre begleitete und auf der ein junger Mann mit langer schwarzer Mähne schräg über mich schaut. Sie war schon legendär, als ich vier Jahre später begann, meine frühesten Sammlungen zu archivieren und bemerkte, dass die Gedanken, die sich mit dem Tauschen, Kleben, Ordnen, Kaufen und Bestellen von seltenen Stickern beschäftigen, hier in der Erinnerung ihren Ursprung nahmen. Kein Mensch schien sich der Wichtigkeit dieses Anliegens und der Besonderheit des Designs dieser Karten bewusst. Mein Freund und ich wussten dagegen sehr wohl, dass wir die richtige Zeit miterlebt hatten und es unsere Aufgabe war, diese Nische zu dokumentieren. Wir trafen uns dienstags bei den Ruinen, um uns den Anschein eines Vereins zu geben und zeigten uns die neuesten Errungenschaften in unseren schwarzen A5-Mappen aus Kunstleder, die innen aus zwanzig Seiten zu je vier Folientaschen bestanden, in denen wir chronologisch oder thematisch die Sticker einsortierten. Mitgliedskarten wurden gezeichnet, jeder besaß eine eigene Nummer und Farbe. Wir brauchten im Schnitt vier Tage, um eine neue Leidenschaft zu entwickeln und mit eigenen Regeln auszustatten.

I

Der Alltag in den 90ern ist eine Generation her und deshalb gerade überall auf der Straße zu beobachten. Was machte ihn aus, wovon war er durchdrungen, was war das, was wir als selbstverständlich ansahen, weil wir in diese postmoderne neoliberale Realität hineinwuchsen? Wo wuchs ich auf, in welchem Erfahrungsraum, was war das für ein Wettbewerb der Ideen und Konkurrenz der Phantasien?

Die kapitalistische Konterrevolution aus Privatisierung, Deregulierung und Monetarisierung, die seit 1973 durch State Building, Pinochet und Thatcher initiiert worden war, krachte gerade mit Verspätung auf viele Staaten, auch in Westeuropa, aber noch viel stärker in Form der Systemtransformation der postsozialistischen Staaten, derartige wirtschaftliche Schocktherapien von neoliberalen Musterschülern wie Leszek Balcerowicz über sich ergehen lassen mussten, dass ihr Meister Friedrich Hayek nur davon träumen konnte. Wir hatten es aber auch nicht anders verdient und die Globalisierung und Allverfügbarkeit um die Ecke. Angst und Unsicherheit waren besser als Langeweile. Privatsender, Prekarisierung und mediale Ausgrenzung einer durch Werbung und Mitmachspiele gehetzten Konsumgesellschaft und die Alltäglichkeit der Überschuldung durch winkende Kredite, die die Leere kurzfristig füllen oder wenigstens zu kompensieren versprechen, gab es gratis dazu. Mehr Frauen und Personen, die sich nicht als Cis-Männer identifizierten, hatten mittlerweile ein eigenes Konto, ohne ihren früher gesetzlich legitimierten Ehemann fragen zu müssen, mehr Frauen waren Singles, geschieden und alleinerziehende Mütter oder sahen die Karriere erstmal als wichtiger, als Möglichkeit, finanziell unabhängiger und frei von den Erwartungen der patriarchalen Gesellschaft zu werden.

II

Das letzte Spiel der legendären jugoslawischen Mannschaft (die blauen Trikots) datiert vom 25. März 1992 gegen die Niederlande (0:2). UN-Sanktionen wegen des Kriegs, die am 1. Juni erlassen wurde, wenige Tage vor EM-Beginn, verhinderten ihre Teilnahme. Der spätere Europameister Dänemark rückte für sie nach.

1994 habe ich zum Völkermord in Ruanda an den Tutsi noch nichts mitbekommen, nichts nichts von der Verschärfung der Asylgesetze 1992/93. 1999 war Kosovo-Krieg, diese Region kannte ich aus den früheren medialen Kriegsdiskursen, das spielte am Rande von Europa, der mir bekannten Welt. Es spielte und war doch da, nur betraf es mich nicht, nur ein paar Leute, die geflohen waren und jetzt am Rand meiner Stadt wohnten, wo, wusste ich nicht genau. Es gab die Brandanschläge auf Asylbewerberheime Anfang der 90er, rassistische Pogrome in Mölln, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und weiteren Städten in Ost und West, da durfte ich noch kein Fernsehen gucken, es gab die Treuhand mit aufgeteiltem Boden, überwucherten und getilgten Mauerreden. Telekom-Aktien später, Verkauf von Handylizenzen, mein Vater, in 700 Kilometer Entfernung, steigt ein aber für den dot-com-Boom reicht’s und die Hoffnung auf Mittelstands-Aufstiegsgeschichten, Imitationen, Unabhängigkeiten (wofür auch sonst migrieren). Aber ich wusste von den Erzählungen, die MTV seit `97 und Viva seit `94 erzählten. Sie retteten mir die Nachmittage, indem sie sagen: du bist dabei, du kannst einer von uns werden! Und selbst wenn nicht, zeigt es nur, dass es eine andere Welt der Stars und der Geschichten gibt, die die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Die es geschafft haben und aus ihrer Glitzer- und Scheinwelt entkommen sind, spüren sich im verstopften Zeitgeist. Immer wenn ich CDs im Elektrohandel hören wollte, fragte ich mich, ob ich auch ohne Geld in der Stadt sein durfte. Statt auf den Balkon mit den Strauchtomaten, die die Privatheit der Außenbalkone beschützten, zu halten, stieg ich in die Außenfassaden der retroavantgardistischen Visionen ein, die in Anlehnung an die Twenties 70 Jahre später hochgezogen wurden, nur um kapitalistische Orgien im Stil von Kevin allein in New York zu feiern. Am Abend Spielshows, die abgehalten wurden, damit die Glücksfee was zu tun hat und die eine ausgewählte Person dieser Stadt zu küren, die das Schicksal der Welt fortan prägen würde. Marketing regelt den Rest.

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